Die Familie Margulies
Die Familie Margulies gehört zum Geistesadel des polnischen Judentums. In der Familiengeschichte ist der Name der Urahnen Jacob Margoles überliefert, eines gelehrten der humanistischen Zeit, der mit Reuchlin [1455-1522] in Korrespondenz stand. Graez berichtet, wie Reuchlin sich an den Gelehrten mit der Bitte wandte, ihn in die Kabbala einzuführen. Der vorsichtige Jude entzog sich jedoch höflich diesem Anliegen.
Von Jacob Margoles in gerader Linie stammt im späteren Jahrhundert der große Talmud Gelehrte [Ephraim] Salman Margulies* ab, eine historische Zierde von Brody.
Sein Enkel** Moritz Margulies, ein profunder Talmud-Kenner, war einer der frühen Maskilim, also derer, die weltlichem Wissen und weltlicher, nicht jüdischer Literatur im jüdischen Kreisen Eingang verschafften. Er hat einen Band hebräischer Lyrik, aber auch hebräischen Übersetzungen von Schiller veröffentlicht. Er beherrschte mehrere Sprachen, befasste sich mit der Literatur aus Liebhaberei, benutzte seine Geschäftsreisen, er war ein vermögender Kaufmann, zu historischen Studien, verfasste nach gründlicher Erforschung ded Materials als erster eine moderne Lebensbeschreibung von Jud Süss [Joseph Süß Oppenheimer] und schrieb auch ein interessantes Essay über den falschen Messias David Alroy. Besondere Aufmerksamkeit widmete er der Familienforschung.
Während sich das Erbe seiner großen Leidenschaft und seines originalen Geistes bei manchen seiner Kinder wiederfindet, wurde ihrer aller Charakter doch entschieden noch mehr von der Mutter geformt und beeinflusst.* Aber…
Sowohl Moritz Margulies, wie auch seine Frau Clara -- geborenen Syszman -- wandten sich spater völlig westeuropäischem Geistesgut zu und eigneten sich erstaunlich grosse autodidaktische Bildung an. Sie war in Galizien geboren, aber durchaus in westlicher Bildung erzogen. Ohne regulären Schulunterricht wusste sie doch, sich durch Lektüre, Verkehr und Unterhaltung besonders mit den heranwachsenden Kindern eine mannigfache Bildung anzueignen. Von der religiösen und sonstigen jüdischen Tradition hatte sie sich sofort nach der Ehe noch radikaler losgelöst, als ihr Mann, wenn auch der liebvollen Verkehr mit frommen Verwandten aufrechterhalten blieb. Die Kinder sahen daher im Hause nichts von jüdischen Bräuchen, Gebeten, Festen und hörten weder ein Wort Hebräisch, noch etwa Jüdisch, das geradezu verpönt war*.
Als aber bei den Söhnen der Reihe nach das Blut der Ahnen zu sprechen begann und das jüdische Gefühl sich meldete, stellte sich die Mutter mit dem Verständnis ihres Herzens sofort an die Seite ihrer Kinder und wurde eine aufrechte Jüdin und warme Zionistin.
Sie hatten acht Kinder: Anna, Isidor, Julius, Siegmund, Bella, Emil, Hans und Heinrich. Drei starben in ihrer Jugend [Julius, Siegemund & Bella]. Obwohl Mutter von acht Kindern vernachlässigte die an Geistigem interessierte Frau keineswegs Literatur, Kunst und Gesellschaft. Ihr besondere Interesse galt der italienischen Renaissance und sie lernte, gründlich wie sie war, italienisch und reiste oft nach Italien. Sie war, mehr noch als der Vater, geistiger Mentor ihrer Kinder, die sich stets gerne mit ihr berieten und für alle Probleme und Sorgen volles Verständnis bei ihr fanden.
Da die Eltern ein hohes Alter erreichten, waren sie noch für die erwachsene Kinder stets der aufrichtigste Freund und der ruhende Pol in den abwechslungsreichen Geschick des Lebens. Der Vater wurde über siebzig, die Mutter starb 1932 über achtzig Jahre alt.
Es ist bezeichnend für den Ideenkampf unter den Juden dieser Zeit, wie alle Söhnen aus solchem rein ostjüdischen, aber vollkommen assimiliertem Hause nach längeren oder kurzerem Genuß der Früchte des deutschen Kulturkreises sich dem jüdischen Nationalgedanken zugewandt haben.
In engerem Kontakte stand Emil mit zwei seiner Brüder: Dem ältesten Isidor und dem jüngeren Heinrich. Diese wurden, ebenso wie Emil, in frühen Jahren von den Eltern in grössere Städte geschickt, wo sie bessere Schulen, als im kleinen Sosnowitz [PL: Sosnowiec], besuchen konnten. Isidor kam nach Absolvierung des deutschen Gymnasiums nach Oesterreich, wo er die Rechte studierte und war als Rechtspraktikant in Salzburg tätig, als ihm kurz nach ihrer Veröffentlichung die Broschüre "Der Judenstaat" von Theodor Herzl in die Hände kam. Das Büchlein ubte auf ihn eine solche Wirkung aus, dass er seinen Aufenthalt in Salzburg abbrach und nach Wien übersiedelte, um sich in den Studentenkreis um Herzl einführen zu lassen. Er wurde ein Vorkämpfer des neuen Ideals. />
Es ist nur eines von ungezählten Beispielen für die Kraft des Herzl'schen Gedankens, dass Isidor Margulies so kurzer Hand zu solcher Wendung in seinem Leben gebracht wurde, - ein Mann, der ein stiller echter Humanist und Gelehrter zu sein bestimmt schien und doch so in den politischen Parteikrieg hineingezogen wurde. Er war in den zionistischen Arbeiten des Vorkriegs-Wien führend, leitete nach dem ersten Weltkrieg die Geschäfte der jüdischen Minderheitenliga in Oesterreich und erwarb sich bereits in jenen Jahren eine vollkommene Kenntnis der hebräische Sprache. Nach dem Anschluss Oesterreichs an Deutschland übersiedelte er nach Palästina, wo er auch jetzt [1949] noch lebt.
Unter seinem [Isidors] Einfluss erhob sich Emil Margulies, der einen gleichen Gang in Studien und Berufswahl gemacht hatte, über seinen Hang zu Deutschtum und deutscher Kultur, und nahm gleichfalls die zionistische Arbeit auf.
Von den zwei jüngsten wurde Hans freie Schriftsteller und Journalist, angesehen in der Wiener Presse; er war Berichterstatter aller grossen jüdischen Prozesse, unter anderen des Schwarzbart- Prozesses in Paris. Heute [1949] lebt er als Emigrant in England.
Der Jüngste, Heinrich, kam unter dem Einfluss der beiden älteren Brüder bereits in die zionistische Jugendbewegung, in der er sich hervortat, veröffentlichte als jünger Mann eine zweibändige "Kritik des Zionismus" und übersiedelte bald nach dem ersten Weltkrieg nach Erez Israel, wo er ein führender Volkswirtschaftler geworden ist. Trotzdem er in der Finanzwirtschaft des Landes eine nicht unbedeutende Position einnimmt - er ist einer der Direktoren der Anglo-Palestine Bank Ltd., - lockt es ihm immer noch zu literarischen und archäologischen Studien zurück. Kürzlich erschien von ihm im Verlage "Dwir", Tel Aviv, unter dem Pseudonym H. Owadja eine interessante archäologische Forschung "Paroh schebijmej Josef" (Der Pharoa des Joseph".
Eine Schwester, Anna wurde in den Kriegsjahren von den Nazis getötet.
Der kurze Abriss dieser Familiengeschichte zeigt besonders rein die Geistesfaktoren des Volkes in ihrer Auswirkung auf die Schicksale einer in voller Entwicklung stehenden Geschlechterfolge. Die hohe geistige Zucht, die Willenskraft und der reine Trieb, für das um die Erneuerung ringende Volk etwas zu leisten, fanden ihren kräftigsten Ausdruck in Emil Margulies.
Quellen :